Name und Differenz

Zur Problematik des Eigennamens bei (und nach) Jacques Derrida

1In wessen Namen spreche/schreibe ich eigentlich, wenn ich über den Eigennamen bei Jacques Derrida rede/schreibe? Werde ich das, was ich versuche hier wiederkehren zu machen, differenzsetzend mit (m)einem Namen gezeichnet haben müssen, um es – als das angeeignete, anverwandelte »Eigene« eines Anderen – zirkulieren lassen zu können? Ist der dabei aufgenommene Kredit rückzahlbar, wenn der Text, der den Namen Derridas trägt, ohnehin nicht einem Diktat der – gar meisternden – Aneignung eines Werks sich beugt? Ist das, was ein Name und eine Signatur senden und transportieren, überhaupt einem Gesetz der Zirkularität verpflichtet? Ist die Unvermeidlichkeit von Name und Signatur auch schon der Garant eines Eigenen, das den Stempel einer unteilbaren Erfahrung, einer limitierbaren Ökonomie in sich trüge? Lässt sich mithin der Eigenname überhaupt außerhalb eines Raums denken, der unterm Titel der Schrift auf die komplizierten Effekte von Testamentarität, Dissemination, Aufschub und Pfropfung des Heterogenen verwiese? Diesem Raum einer entgrenzten, allgemeinen Ökonomie nun, die eine Scheidung von Innen und Außen, von interner Autonomie und äußerer Bedrohung unablässig hintertreibt, gilt die Dekonstruktionsarbeit Jacques Derridas auch im Falle des Eigennamens.

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1Zum Stellenwert von Derridas Reflexionen über Eigennamen im Rahmen seiner Dekonstruktionsarbeit

2Doch lässt sich hier schon sagen, dass es Derrida nicht um eine »Theorie« des Eigennamens im traditionellen Sinne zu tun ist, die von einer Einordnung dieser Thematik in ein wissenschaftliches oder philosophisches Aussagesystem ausginge und damit dem Prinzip einer konsistenten, homogenisierenden Funktionalisierung das Wort spräche. Auch handelt es sich weniger um die Entfaltung einer Problematik des Eigennamens – zu verräterisch ist die Konnotation von Sukzessivität, organizistischem Entwicklungsdenken und impliziter Teleologie –, als weit eher, will man schon dem Bildkomplex des Faltens (und der Falte) Genüge tun, um eine Ver–faltung dieser Problematik, d.h. um eine Spekulation über die Logik (Grafik) des Eigennamens bzw. mit dieser Logik. Im Übrigen ist festzuhalten, dass Derrida zwar »immer wieder von Namen ausgeht und über sie schreibt«1, ihren Effekten nachgeht, ganze Textkorpora auf ihre Verarbeitung von Eigennamen und auf ihre Signatur hin liest, dass diese Durchgängigkeit der Auseinandersetzung aber gerade eine spezifische Streuung der Bezugnahmen Derridas impliziert, der allererst nachgegangen werden muss, soll sich eine umfassendere Kontur der so aufgerissenen Perspektiven abzeichnen. Hier liegt denn auch der Einsatzpunkt meiner folgenden Ausführungen. Philippe Forgets These, dass »der Eigenname bei Derrida als Titel für die Dekonstruktion eines ökonomisch angelegten Interpretationsdiskurses«2 einstehe – für die Dekonstruktion eines Diskurses mithin, dem die Kategorien der Intentionalität, des (aneignenden) Verstehens, der Erfahrung, des Subjekts, der Totalität, der Entwicklung, der Identität, der Aufhebung (etc.) zum Ausweis seiner vorgeblichen Adäquanz ans Interpretierte geronnen sind –, kann dabei vorab die Richtung markieren, in die zu gehen sein wird.

2Eigenname und sprachlich-soziale Differenz(ierung)

3Was Derrida in der Grammatologie3 zu tun unternimmt, ist nichts weniger als eine grundsätzliche Infragestellung des Zeichenbegriffs, kann dieser doch nicht übernommen werden, ohne dass man auch all seine metaphysisch-theologischen Wurzeln mit übernimmt. Der zutiefst problematisch gewordenen Scheidung von Signifikant und Signifikat, die seit je – unter wechselnden Namen – den Begriff des Zeichens erfüllt und fundiert, entgegnet Derrida mit der Herausarbeitung eines fortwährenden Differenzierungsvorgangs zwischen Signifikanten und Signifikaten, die ihrerseits immer schon in der Position von Signifikanten sich befinden, eines Prozesses, dessen verdrängter, erniedrigter, exteriorisierter Indikator die Schrift ist, die damit aber – ehedem bloß repräsentierend gedacht, bloßer Signifikant des Signifikanten – gleichsam die Extension der Sprache (als Systems von Zeichen) zu überschreiten begonnen hat, beschreibt sie doch nunmehr die Bewegung der Sprache »selbst« – in ihrem Ursprung, einem Ursprung aber, der sich mit seiner eigenen Hervorbringung selbst hinweg rafft und auslöscht: »Die Sekundarität, die man glaubte der Schrift vorbehalten zu können, affiziert jedes Signifikat im allgemeinen, affiziert es immer schon, d.h. von Anfang, von Beginn des Spieles an.«4 Dies führt Derrida nebenbei bemerkt im weiteren Gang der Argumentation zur »Theorie« einer Urschrift bzw. Urspur als »ursprünglicher« Möglichkeit auch des gesprochenen Worts, einer Denkbewegung, die die Idee des Zeichens (und all dessen, was darauf gründet) durch eine Betrachtung der Schrift zu dekonstruieren sucht.

4Seine Reflexionen bezüglich des Eigennamens entwickelt Derrida in der Grammatologie im Zusammenhang einer Auseinandersetzung mit Lévi-Strauss’ ethnologischem Rousseauismus, der in den Traurigen Tropen eine markante Spur hinterlässt; aus Referenzgründen zitiere ich jene Passage aus Lévi-Strauss’ Buch, die Derrida hier besonders interessiert, etwas ausführlicher:

Die Verwendung von Eigennamen ist bei den Nambikwara verboten. Um sie identifizieren zu können, mußte ich daher die Gewohnheit der Leute von der Linie annehmen und die Eingeborenen mit irgendeinem portugiesischen Namen wie Julio, José-Maris, Luzia oder mit einem Übernamen wie lebre (Hase), assucar (Zucker) bezeichnen. […] Als ich eines Tages mit einer Gruppe Kinder spielte, wurde eines der kleinen Mädchen von einer Gefährtin geschlagen. Das Mädchen flüchtete sich zu mir und flüsterte mir irgend etwas ins Ohr, das ich nicht verstand, so daß es das Gesagte etliche Male wiederholen mußte, bis seine Feindin ihr hinter die Schliche kam und nun ihrerseits herbeilief, um mir ein allem Anschein nach höchst feierliches Geheimnis mitzuteilen. Nach langem Hin und Her wurde mir endlich die Bedeutung des Zwischenfalls klar. Das erste kleine Mädchen hatte mir, um sich zu rächen, den Namen seiner Feindin verraten wollen, und als diese es bemerkte, versuchte sie das gleiche zu tun. Von nun an war es mir ein leichtes, die Kinder gegeneinander aufzubringen und sie – ich gebe zu, in etwas skrupelloser Weise – zu veranlassen, mir ihre Namen zu verraten. Nachdem das Vertrauen zwischen uns hergestellt war, erfuhr ich auch die Namen der Erwachsenen. Als diese die Bedeutung unserer Zusammenkünfte begriffen, bestraften sie die Kinder, und meine Informationsquelle versiegte.5

5Derrida nun geht von einem ursprünglichen Verlöschen des Eigennamens gegenüber der Energie des gráfein, der Schrift, aus:

Es gibt Schrift, sobald in einem System der Eigenname durchgestrichen wird, es gibt »Subjekt«, sobald jene Obliteration des Eigentlichen sich ereignet, mit anderen Worten vom Erscheinen des Eigentlichen und der Geburtsstunde der Sprache an.6

6Das aber bedeutet zugleich: der tabuisierte bzw. verbotene Gebrauch von Eigennamen in bestimmten Gesellschaften (wie z.B. jener der Nambikwara) ist notwendig abgeleitet, »und zwar im Rahmen ihrer Ur-Schrift, das heißt im Spiel der Differenz«7. Der Eigenname nämlich ist »immer nur durch sein Funktionieren in einer Klassifikation und somit in einem differentiellen System möglich gewesen«8; Eigennamen sind schon keine Eigennamen mehr, ihre Entstehung ist zugleich auch ihre Obliteration, ihre Auslöschung bzw. Durchstreichung. Der Eigenname als einzige Benennung, die auf die Präsenz eines einzigen Wesens verwiese, seiner Präsenz vorbehalten schiene, ist immer nur »der Ursprungsmythos einer unter der Obliteration transparenten und gegenwärtigen Lesbarkeit gewesen«9. Das Untersagte ist ja bei den Nambikwara auch möglich gewesen, konnte sein Spiel entfalten und überschritten werden, »das heißt wiedererstellt an der Obliteration und der ursprunghaften Nicht-Eigentlichkeit«10.

7Indem er benannt wird, ordnet sich der Eigenname bereits ein und wird ausgelöscht, ist also in diesem Moment schon nur noch ein sogenannter Eigenname, der das Eigene einer Teilung unterwirft, wird damit aber auch als bereits durchgestrichen in seiner ursprünglichen Lesbarkeit begründet. Entscheidend ist also nicht eine vermeintliche Essenz des Eigennamens etwa als reiner Vokativ – wird dies doch durch die Schrift als Obliteration des im Spiel der Differenz geordneten Eigenen gerade verhindert –, sondern der Akt, der markiert, was als – je schon eingeschriebener – Eigenname fungiert. So wird im Falle der Nambikwara durch das Spiel der Denunzierung und die Zurschaustellung des Eigenen ja nur der schützende Vorhang zerrissen, »hinter dem sich eine Klassifizierung und eine Zugehörigkeit verbergen: die Inschrift in ein System von sprachlich-sozialen Differenzen«11.

8Nach all dem lässt sich daher mit Derrida folgern:

Benennen, die Namen geben, die es unter Umständen untersagt ist auszusprechen, das ist die ursprüngliche Gewalt der Sprache, die darin besteht, den absoluten Vokativ in eine Differenz einzuschreiben, zu ordnen, zu suspendieren. Das Einzige im System zu denken, es in das System einzuschreiben, das ist die Geste der Ur-Schrift: Ur-Gewalt, Verlust des Eigentlichen, der absoluten Nähe, der Selbstpräsenz, die nie gegeben war, sondern erträumt und immer schon entzweit, wiederholt, unfähig, anders als in ihrem eigenen Verschwinden in Erscheinung zu treten.12

3Glorifizierung und Enteignung in nomine

9Glas, Derridas großer gedoppelter, der Teilung unterliegender Text aus dem Jahr 197413 bringt voller Insistenz zwei Namen ins Spiel: Hegel und Genet, den einen auf der linken, den anderen auf der rechten Kolonne dieses »Buchs«. Um im Namen Hegels zu arbeiten, seinen Namen zu errichten, folgt Derrida einem selbstgewählten Faden: dem Gesetz der Familie, d.h. der Familie von Hegel, der Familie bei Hegel, dem Familienkonzept nach Hegel. Und im Falle Genets unternimmt es Derrida unter anderem zu zeigen, wie dieser im Kampf um sein eigenes Überleben als Schreiber seinen Namen – und das heißt hier: seinen Mutter-Namen – disseminierend durch seine Texte zu glorifizieren sucht, auf diese Weise immerfort signierend, was er schreibt, was freilich gleichwohl zur Folge hat, dass er diese seine Gabe (an den Leser) unablässig und gleichsam a priori im Text teilen, verstreuen, verlustig gehen lassen muss.

10Jedoch will ich an dieser Stelle nur einige allgemeinere Formulierungen Derridas zur Namensproblematik aus Glas aufgreifen, um durch den Anriss bestimmter Fragehorizonte ein Ferment für weitergehende Überlegungen bereit zu stellen.

11So tritt Namengeben immer zugleich als ein Herausstreichen bzw. Erheben von Singularität und als eine Indizierung des Benannten auf;14 das aber heißt: im Vorgang des Benennens, der ein Individuum als einzigartig(es) bestimmbar machen soll, wird dieses Individuum bereits, und zwar durch diesen Prozess des Anrufens selbst, in eine klassifikatorische Ordnung innerhalb einer sozialen Ökonomie, mithin in ein System von Differenz(ierung)en überführt – Einschreibung also in ein spezifisches System von Spuren und Marken, Ablösung von dem, was das Eigentümliche bzw. Einzigartige bei sich selbst hält, offen mithin für eine Trauerarbeit. Doch kann ein Text nur »existieren«, widerstehen, fortbestehen, verdrängen, sich lesen oder schreiben lassen, wenn er bearbeitet wird durch die Unlesbarkeit eines Eigennamens –15 ein Effekt, der auf eine grundlegende Struktur der Enteignung in differentiellen Zeichensystemen verweist und »eine bestimmte Auffassung von der Lesbarkeit als Auslesenkönnen«16 und Zugang zu einem eigentlichen, irgendwann einmal einholbaren Sinn konterkariert. So geht es denn schließlich auch für Derrida im literarischen Diskurs »um die geduldige, listenreiche, geradezu animalische oder pflanzenhafte, unaufhörliche, lächerliche, aber vor allem sich selbst ins Lächerliche ziehende Verarbeitung seines Eigennamens, rebus, in Dinge, in Dingnamen«17; d.h. der Eigenname ist immer schon kontaminiert, kann einem Identitätsprinzip nicht unterworfen werden, da er a priori eingelassen ist in ein System der Schrift, das zwar laufend Eigennameneffekte18 produziert, das »Eigen« des Eigennamens aber immer wieder löscht bzw. durchstreicht.

4Name, Übersetzung und Anrufung

12In jedem Eigennamen ist nach Derrida ein Begehren am Werk: übersetz’ mich, übersetz’ mich nicht; d.h. zum einen: respektiere mein Gesetz des Eigennamens, das über allen (Einzel-)Sprachen steht, zum anderen: bewahre mich innerhalb der universalen Sprache.19 Hierin liegt eine gemeinsame Problematik von Eigenname und Übersetzbarkeit, die Double-bind-Struktur eines Appells nämlich, der gleichzeitig die Notwendigkeit und die Unmöglichkeit des Übersetzens impliziert. Wie die Geschichte vom Turmbau zu Babel zeigt, prallen diese konfligierenden Ansprüche des Eigennamens in der Form aufeinander, dass eine interne Spaltung des Eigennamens in die sprachlichen Werte Eigenname und Gattungsname/Gemeinname (nom commun) die Existenz zweier Wörter (hier: Babel [=] Verwirrung) provoziert und zudem die Entscheidungsunmöglichkeit hervor treibt, ob dieser Name eigentlich nur einer Sprache angehört. Koloniale Gewalt respektive linguistischer Imperialismus auf der einen, rationale Transparenz auf der anderen Seite werden durch das intermittierende Gesetz der zugleich notwendigen und unmöglichen Übersetzung ins Spiel einer Dekonstruktion gezogen, die einem Anspruch universeller Vernunft mit der Begrenzung dieser Universalität entgegen arbeitet und eine Unauflösbarkeit dieser Problematik indiziert, wie sie sich im Namen Babel markiert findet, »der sich zugleich übersetzt und nicht übersetzt, einer Sprache zugehört, ohne ihr zuzugehören, und sich bei sich selbst mit einer unauflösbaren Schuld verschuldet, bei sich selbst als anderem. Das wäre dann die babelsche Performanz.«20

13Dass es aber auch eine Geschichte der Namen im Leben eines jeden gibt, wird schon daran deutlich, dass sich eine ganze Reihe unterschiedlicher Namen durch dieses Leben zieht, die hinzu kommen, verschwinden, (sich) akkumulieren. Hier erhebt sich nun die Frage, ob nicht unterhalb dieser Namen öffentlicher Bekanntheit ein unbewusster und geheimer Eigenname existiert, der – dem Bewusstsein des Trägers selbst nicht zugänglich oder bekannt – die Bedingung eines absoluten Idioms, ohne schon notwendig sprachlich formuliert zu sein, erfüllte und durch den ich von Zeit zu Zeit angerufen bzw. erreicht würde.21 Doch setzt diese gewiss schwierige Hypothese oder Fiktion bereits voraus, dass ein solcher Effekt absoluter Eigenheit oder Eigentümlichkeit nur innerhalb eines Systems von Relationen und Differenzen mit einer Scheidung von »nah« und »fern« sich erheben kann; das aber heißt, dass selbst ein geheimer Eigenname sogleich strukturell und a priori in ein Netzwerk, das durch Gattungsnamen/Gemeinnamen (noms communs) kontaminiert ist, eingeschrieben, mithin als reiner Zustand unmöglich wäre. Mögliche Effekte eines geheimen Eigennamens können nicht im Reinzustand auftreten wegen der differentiellen Struktur jeder Marke22, die selbst als geheime das, was sie ist, nur sein kann in einer Relation der Differenz(ierung) und damit auch der Kontamination, in einem Netzwerk oder einem gemeinsamen System.

14Erhält aber selbst der geheimste Eigenname seinen Eigennameneffekt nur dadurch, dass er von vornherein das Risiko von Kontamination und Umweg in einem Beziehungssystem eingeht, so folgt daraus, dass eine reine Anrede unmöglich ist, immer die strukturelle Möglichkeit besteht, dass sie ihre Bestimmung verfehlt, gemäß der allgemeinsten Struktur der Marke. Daher resümiert Derrida:

Der Eigenname ist eine Marke: etwas wie Verwirrung kann jederzeit auftreten, da der Eigenname Verwirrung in sich selbst trägt. Der geheimste Eigenname ist, bis zu einem gewissen Punkt, synonym mit Verwirrung. In dem Ausmaß, in dem er unmittelbar allgemein werden und hinweg treiben kann zu einem System von Relationen, wo er als Gattungsname oder Marke funktioniert, kann er die Anrede wegab schicken.23

15Damit freilich kommt ein Zufallselement ins Spiel, das seine Arbeit in jeder Form von Botschaft entfaltet, in jeder Post, wenn man so will.

5Name, Signatur und Iterabilität

16Dafür, dass eine Marke wiederverwendet, ihrem Kontext entnommen, als diese Marke x identifiziert und zitiert werden kann, ist es erforderlich, dass sie einem Gesetz der Iterabilität, d.h. der Wiederholbarkeit und Remarkierbarkeit, unterliegt.24 Diese allgemeine Iterabilität ist unentbehrlich für das Funktionieren jeder Sprache (geschrieben oder gesprochen) und jeder Marke, sorgt sie doch dafür, dass die Identität desselben sprachlichen Elements wiederhol- und identifizierbar ist in und angesichts allgegenwärtiger Alteration, und dass dieses Element, befreit von allen determinierenden Bindungen seines »Ursprungs«, seiner Bedeutung und seines Referenten in neue Kontexte eintreten kann, um dort eine veränderte Rolle zu spielen. Damit aber begründet diese Fähigkeit der Marke, mehr als einmal verwendet zu werden, im gleichen Zug Identität und Differenz, erlaubt die Hypothese der Idealisierung, die z.B. in der Adäquation einer Bedeutung und einer Rede an sich selbst läge, und hintertreibt bzw. untersagt sie zugleich. Mehr als eins, unterliegt die Marke einer internen Multiplikation und Teilung, ist eingeschrieben in eine differentielle Struktur, die einer Opposition von Präsenz und Absenz keinen Halt mehr bietet; nicht erst äußere Umstände oder Bedrohungen, sondern die Strukturalität der Marke selbst, ihre prinzipielle Iterabilität, bewirkt, und zwar vom Anfang des Spiels an, dass die Bestimmung einer Aussage niemals – ebenso wenig wie die Sättigung des Kontextes – als restlos sichergestellt und kontrollierbar gelten kann. Daher Derrida denn auch schreibt:

Die Iterabilität verandert25, sie parasitiert und kontaminiert das, was sie identifiziert und zu wiederholen erlaubt; sie macht, dass man (immer schon, immer, auch) etwas anderes sagen kann, als was man sagen will, dass man etwas anderes sagt, als was man sagt und sagen wollte, etwas anderes versteht als … etc. In klassischen Begriffen: der Zufall ist nie ein Zufall.26

17Obwohl diese »destinerration«27 nicht den Status einer Notwendigkeit beanspruchen kann, muss sie doch als notwendige Möglichkeit ins Auge gefasst werden; keine Existenz einer Marke ohne die Möglichkeit ihrer Verirrung oder Spreizung28, Spreizung und Teilung als ihre Möglichkeit selbst. Damit verschwindet übrigens nicht einfach die Kategorie der Intention, sie hat ihren Platz, aber von diesem Platz aus kann sie nicht mehr den ganzen Schauplatz oder das ganze System des Aussagens kommandieren bzw. kontrollieren.

18Von diesen Zusammenhängen bleibt die Namensproblematik natürlich nicht unberührt, so z.B. im Bereich der Signatur, der Unterschrift.29 Diese nämlich, als prätendierter Garant der Verknüpfung einer Aussage oder sprachlichen Handlung mit einer »Quelle« (z.B. »Autor«) und ihrer gewesenen Jetzigkeit, impliziert per Definition die aktuelle oder empirische Nicht-Präsenz des Signatars. Damit die angesprochene Verknüpfung mit der Quelle hervor gebracht wird, muss zwar zum einen die reine Reproduzierbarkeit eines reinen singulären Ereignisses (der Signatur und ihrer Form) bewahrt werden; andererseits aber ist die Möglichkeitsbedingung dieses Effekts zugleich auch die Bedingung seiner Unmöglichkeit, was seine rigorose Reinheit betrifft. Denn um zu funktionieren, d.h. lesbar zu sein, muss eine Signatur eine wiederhol-, iterier-, imitierbare Form haben, muss sich von der präsenten und einzigartigen Intention ihrer Produktion lösen können; ihr Anspruch auf Selbstheit verandert und teilt sie auch schon in ihrer Identität und Singularität, muss sie doch unweigerlich die Fähigkeit besitzen, in neue Kontexte eingehen zu können. Dies verbindet sie denn auch strukturell mit dem Eigennamen, der in seiner Unlesbarkeit nur darum lesbar wird, weil er sich auf Grund der Logik der Iterabilität immer schon von seinem Träger gelöst haben wird. Auf diese Weise freilich nimmt der Eigenname »immer schon den Tod dessen vorweg, der – fälschlicherweise – als Namensträger bezeichnet wird: Wer unterschreibt, ist bereits gestorben, und weil der Eigenname uns a priori überlebt, trägt vielmehr er uns, und zwar auch so, wie man einen Toten trägt […]«30. Eine vorgängige Trennung ist dem Eigennamen somit eingeschrieben, daher denn auch möglicherweise sein subkutaner Bezug zum Phänomen des Doppel- und Wiedergängertums. Nicht notwendig in sich selbst jedenfalls verbunden mit einer Bedeutung – und sei’s auch als Referenz –,sorgt der Eigenname wie die Marke und als Marke dafür, dass das Spiel der Bestimmung kein gesichertes sein kann, immer der verandernden, kontaminierenden Logik der Iterabilität unterworfen bleibt.

6Name und Text

19Dass das Funktionieren eines Textes immer schon auf den Problemkreis von Signatur und Eigenname verweist, führt Derrida auch in Otobiographies vor.31 Dazu jedoch nur noch einige kurze Bemerkungen. »Wer signiert, und von welchem vorgeblich eigenen Namen her, den deklarativen Akt, der eine Institution begründet?«32: dies ist die Frage, die Derrida im ersten Teil seines 1976 zuerst gehaltenen Vortrags anlässlich der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung stellt. Die Struktur einer Stellvertretung von Stellvertretern, die ein Volk vertreten (sollen), das sich noch gar nicht als Institution mit einem Eigennamen etabliert hat, der Stellvertretung erst ermöglichte, lässt das Ausmaß der sich hier ergebenden Schwierigkeiten schon erahnen. Aus diesem Strudel richtet sich zwar schließlich der Eigenname als Signatur auf, um Staat zu machen, die grundlegende Frage jedoch bleibt:

Wie macht oder gründet sich ein Staat? Und eine Unabhängigkeit? Und die Autonomie dessen, was sich sein eigenes Gesetz gibt und es signiert? Wer signiert all diese Autorisationen zu signieren?33

20Im Hauptteil des Vortrags dann, der von Nietzsches »Politik des Eigennamens« handelt, avisiert Derrida unter anderem eine neue Problematik des Biografischen im allgemeinen, die sich zumindest auf eine neue Analyse des Eigennamens und der Signatur stützen müsste. Der Name Nietzsches gewinnt hier strategische Bedeutung, war Nietzsche doch vielleicht der einzige bisher (im Okzident), der von der Wissenschaft und der Philosophie des Lebens mit und in seinem Namen gehandelt, d.h. seine(n) Namen und seine Biografie(n) ins Spiel gebracht hat (man betrachte nur den Schauplatz von Ecce Homo). Das Leben wird dabei zum Kredit bei sich selbst und zum Vorurteil, zum Risiko einer Antizipation, die erst dann verifizierbar wird, wenn der Namensträger tot sein wird. Wenn denn das »Leben zurückkehrt, kehrt es zum Namen zurück und nicht zum Lebenden, zum Namen des Lebenden als Namen des Toten«34: Überleben im Namen und durch den Namen folgt einer Struktur der Testamentarität, der prinzipielle Teilbarkeit und Pluralisierung eingeschrieben sind. Auf die so eröffnete Strukturalität ließe sich dann im übrigen auch Nietzsches Spiel mit Masken, Signaturen und Eigennamen beziehen.

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21Zum Schluss noch Folgendes: Die von mir hier in größtmöglicher Verknappung vorgestellten Züge von Derridas Reflexionen über die Problematik des Eigennamens, die die Verwebung auch des Eigennamens ins Netz allgemeiner sprachlicher Differentialität artikulieren, sollen mitnichten als fertige Anweisungen für die Deutung von Eigennamen in textuellen Zusammenhängen welcher Art auch immer fungieren. (Wie denn auch?) Viel eher sollen sie dazu beitragen, Interpretierbarkeit, Lesbarkeit, Verstehbarkeit selbst als grundlegendes Problem wahrzunehmen, das durch keinen Tigersprung in rückversichernde Interpretationscodes beseitigt oder aufgehoben werden kann, tut sich hier doch eine wuchernde originäre Spaltung auf, die von der ruinösen Unsicherheit formaler Strukturen35 kündet. Für das, was man Literaturwissenschaft zu nennen überein gekommen ist, heißt dies im übrigen, dass ein sogenannter »fiktionaler« Gebrauch von Eigennamen nicht einfach als gegeben voraus zu setzen, sondern allererst aus der Strukturalität des Eigennamens und der Marke »selbst« zu begründen wäre: Die »Literatur« siedelt nicht im Jenseits des allgemeinen Textes. An Punkten wie diesen aber hätte die Erarbeitung einer neuen Problematik des Literarischen und des Ästhetischen anzusetzen. Im Bezirk von Kunst Eigentums- und Besitzrechte – der Kunst nämlich – zu beschwören, ist nurmehr fauler Zauber.

1 Forget, Philippe: Diskursanalyse versus Literaturwissenschaft? In: Fohrmann, Jürgen (Hrsg.) ; Müller, Harro (Hrsg.): Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Frankfurt/Main : Suhrkamp, 1988 (suhrkamp taschenbuch 2091), S. 311–329, Zitat S. 316. Vgl. zum Eigennamen bei Derrida neben Forget auch: Bennington, Geoffrey: Derridabase. In: Bennington, Geoffrey ; Derrida, Jacques: Jacques Derrida. Paris : Seuil, 1991 (Les contemporains 11), S. 100–110 ^

2 Forget: Diskursanalyse, S. 317 ^

3 Vgl. Derrida, Jacques: Grammatologie. Frankfurt/Main : Suhrkamp, 1974 (französisches Original: De la grammatologie. Paris : Gallimard, 1967) ^

4 Derrida: Grammatologie, S. 17 ^

5 Lévi-Strauss, Claude: Traurige Tropen. Zitiert nach Derrida: Grammatologie, S. 194/95 (französisches Original: Tristes tropiques. Paris: Plon, 1955) ^

6 Derrida: Grammatologie, S. 190 ^

7 Ebd. ^

8 Ebd., S. 191 ^

9 Ebd. ^

10 Ebd. ^

11 Ebd., S. 196 ^

12 Ebd., S. 197 ^

13 Vgl. Derrida, Jacques: Glas. Paris : Galilée, 1974 – Hierzu einführend, auch in Bezug auf die Frage des Namens: Berezdivin, Ruben: Gloves: Inside-Out. In: Research in Phenomenology 8 (1978), S. 111–126 ^

14 Vgl. Derrida: Glas, S. 13 ^

15 Vgl. ebd., S. 14 ^

16 Forget: Diskursanalyse, S. 321 ^

17 Derrida: Glas, hier deutsch zitiert nach Forget: Diskursanalyse, S. 316 – Das französische Original lautet: »[…] la transformation patiente, rusée, quasi animale ou végétale, inlassable, monumentale [übergangen!], dérisoire aussi mais se tournant plutôt en dérision, de son nom propre, rebus, en choses, en nom de choses.« (Glas, S. 11) ^

18 »[…] jedes Signifikat, dessen Signifikant nicht variieren noch sich übersetzen lassen kann in einen anderen Signifikanten ohne Verlust an Signifikation, induziert einen Effekt von Eigenname […]«. (Derrida, Jacques: Die Postkarte : Von Sokrates bis an Freud und jenseits. 2. Lieferung. Berlin : Brinkmann & Bose, 1987, S. 68) ^

19 Vgl. Derrida, Jacques: The Ear of the Other : Otobiography, Transference, Translation. Texts and Discussions with Jacques Derrida. New York : Schocken, 1985, S. 102 ^

20 »[Telle insolvabilité se trouve marquée à même le nom de Babel:] qui à la fois se traduit et ne se traduit pas, appartient sans appartenir à une langue et s’endette auprès de lui-même d’une dette insolvable, auprès de lui-même comme autre. Telle serait la performance babélienne.« (Derrida, Jacques: Des tours de Babel. In: Derrida, Jacques: Psyché : Inventions de l’autre. Paris : Galilée, 1987, S. 203–235, hier S. 210–211 – meine Übersetzung) ^

21 Dies und das Folgende nach Derrida: The Ear of the Other, S. 105–108 ^

22 »Marke« (frz. »marque«, auch u.a. mit »Mal« übersetzbar) dient Derrida als »Ersatz« für den Begriff des Zeichens, um die sonst sogleich und unweigerlich auftretenden ontotheologischen Implikationen dieses Begriffs zu meiden und um die Bedingung eines »allgemeinen Textes« (»texte général«) zu akzentuieren; »Marke« zielt also ganz auf die differentiell-verräumlichende Funktion sprachlicher Elemente. Vgl. auch meine Ausführungen im folgenden Abschnitt. ^

23 »The proper name is a mark: something like confusion can occur at any time because the proper name bears confusion within itself. The most secret proper name is, up to a certain point, synonymous with confusion. To the extent to which it can immediately become common and drift off course toward a system of relations where it functions as a common name or mark, it can send the address off course.« (Derrida: The Ear of the Other, S. 107–108 – meine Übersetzung) ^

24 Vgl. folgende Texte: Derrida, Jacques: Signatur Ereignis Kontext. In: Derrida, Jacques: Randgänge der Philosophie. Wien : Passagen, 1988, S. 291–314; Derrida, Jacques: Limited Inc a b c … Baltimore : The Johns Hopkins University Press, 1977 ^

25 Dies ist kein Druckfehler; vielmehr möchte ich mit »verandern« das Moment von Alterität im französischen Wort »altérer« (verderben, verschlechtern, entstellen) stärker hervor kehren. ^

26 »L’itérabilité altère, elle parasite et contamine ce qu’elle identifie et permet de répéter; elle fait qu’on peut dire (déjà, toujours, aussi) autre chose que ce qu’on veut dire, on dit autre chose que ce qu’on dit et voudrait dire, comprend autre chose que … etc. En termes classiques, l’accident n’est jamais un accident.« (Derrida: Limited Inc, S. 33 – meine Übersetzung) ^

27 Etwa als »Bestimmungsirrung« zu übersetzen (zusammengezogen aus »destination« und »errer«) ^

28 So gebe ich das französische »écart« im Deutschen wieder. ^

29 Vgl. zu all dem die in Anm. 24 genannten Texte Derridas. ^

30 Forget: Diskursanalyse versus Literaturwissenschaft, S. 320 ^

31 Vgl. Derrida, Jacques: Otobiographies : L’enseignement de Nietzsche et la politique du nom propre. Paris : Galilée, 1984 ^

32 »[…] qui signe, et de quel nom soi-disant propre, l’acte déclaratif qui fonde une institution?« (Derrida: Otobiographies, S. 16 – meine Übersetzung) ^

33 »Comment se fait ou se fonde un Etat? Et une indépendance? Et l’autonomie de qui se donne et signe sa propre loi? Qui signe toutes ces autorisations de signer?« (Derrida: Otobiographies, S. 31 – meine Übersetzung) ^

34 »Et si la vie revient, elle reviendra au nom et non au vivant, au nom du vivant comme nom du mort.« (Derrida: Otobiographies, S. 49 – meine Übersetzung) ^

35 Derrida betont: »Der Akt des Dekonstruierens ist ein zugleich strukturalistischer und anti-strukturalistischer Gestus: Man nimmt einen Aufbau, einen Artefakt auseinander, um seine Struktur, seine Maserung, oder […] sein Skelett sichtbar zu machen, um aber auch, gleichzeitig, die ruinöse Unsicherheit einer formalen Struktur aufzudecken, die nichts zu erklären vermag, weil sie weder ein Mittelpunkt, noch ein Prinzip, noch eine Kraft, ja nicht einmal der Lauf der Dinge im weitesten Sinn dieses Wortes ist.« (Gespräch mit Jacques Derrida. In: Engelmann, Peter (Hrsg.): Philosophien : Gespräche mit Michel Foucault u.a. Graz ; Wien : Passagen, 1985, S. 51–70, hier S. 60) ^

Geschrieben ca. 1990 im Anschluss an ein Seminar von Prof. Hendrik Birus

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