Maschinale Reibungsflächen

Anmerkungen zur Rede von der Maschine (nicht nur) im 18. Jahrhundert und zu ihrer Inanspruchnahme durch Johann Karl Wezel

1»Maschinale Reibungsflächen«: ich verdopple sogleich zu Beginn des Textes den Titel dieses (»meines«) Textes, um zu indizieren, dass das, was sich als Namensschild oder bezeichnender Aufkleber präsentiert, doch keineswegs in der Lage ist, von einer privilegierten Position her die vermeintliche Einheit und Identität des Geschriebenen bzw. Gesprochenen zu garantieren oder gar zu kontrollieren. Bereits in der ersten Wiederholung nämlich – damit aber schon, bevor diese überhaupt einzutreten vermag, d.h. von Anfang an – hat sich eine originäre Teilung und Spreizung aufgetan, die die Marken allererst auf ihre Reise geschickt haben wird.1 So kann auch der Titel – ähnlich dem Eigennamen –2 seine Nennkraft nur dann wirksam werden lassen, wenn und da er in eine differentielle Struktur eingeschrieben ist, die im gleichen Zug, wie sie Wiederholbarkeit und Remarkierbarkeit eines Elements sichert, dafür sorgt, dass dieses Element imstande ist, entbunden von allen determinierenden und beschränkenden Bindungen seines »Ursprungs«, in neue und veränderte Konstellationen einzugehen. Funktioniert daher der Titel – wie der Name – von vornherein nur in einem Netzwerk sprachlicher Differenz(ierung)en, so bedeutet dies zugleich, dass er immer schon ein Risiko der Kontamination und des Umwegs in einem Beziehungssystem auf sich genommen haben muss, ein Risiko mithin, das ihn immer schon seiner privilegierten, Vereinheitlichung und Einsammlung bewirkenden Stellung entkleidet haben wird. Damit aber beherrscht oder bestimmt der Titel den Text nicht mehr – gar von außen –, vielmehr ermöglicht nun erst der allgemeine Text3 die »Existenz« des Titels, sofern der Text je schon im selben Zug herausstreicht und durchstreicht, erhebt und indiziert, hervorhebt und durchstreicht. Das scheinbare Außen des Titels erweist sich folglich – paradox genug – als »inneres« Moment des Textes im allgemeinen, der fortan nicht einfach mehr unter den Prämissen einer Opposition von Innen und Außen, von Präsenz und Absenz, von Zeichen und Bezeichnetem beschreibbar ist.

2Gleichwohl wäre es leichtfertig bis irreführend, die Nennkraft des Titels schlicht tilgen zu wollen, als habe sie ein für allemal ausgespielt; dies nämlich verfehlte nur von einer anderen Seite die grundlegende differentielle Verfasstheit des Textes, der zwar kein reines Außen zulässt, dennoch aber ständig Effekte der Herausstellung produziert, in deren Durchstreichung und (Wieder)–Einschreibung sich allererst seine Lesbarkeit herstellt. So erwiese sich also der Titel als Indikator einer allgemeineren Problematik des Textes. Wenn ich nun im Folgenden versuche, die pro–grammatische Vorgabe meines Titels zu verfolgen, dann ist bereits angedeutet, dass hier weder die Wahrheit bzw. Essenz noch der geschichtliche Sinn der Maschine oder des Maschinalen wird eingeholt werden können; stattdessen richtet sich die Frage auf, ob die Maschine nicht gerade die Effizienz und Adäquanz eingeschliffener Deutungskategorien und -kriterien einem unaufhaltsamen Erosionsprozess aussetzt, der überdies die prätendierte Sinnträchtigkeit metaphorischen Sprechens zu depotenzieren und zu dekonstruieren erlaubte. Schöpft der Titel meines Beitrags auch scheinbar arglos aus dem Reservoir maschinaler Projektionen, die hier freilich mitnichten einer Vorstellung reibungslosen Funktionierens oder gar instrumenteller Handhabbarkeit verpflichtet sind, sondern unterm Signum von Konfrontation und Verschleiß einen Perspektivwechsel der Maschinenimago indizieren,4 so stellt der Text »selbst« doch den Versuch dar, nicht etwa eine unterschobene Sinnteleologie metaphorischen Transfers zu demonstrieren und zu legitimieren, sondern vielmehr eine Um–Schrift zu befördern, die Sinneffekte nicht einsammelt und als geschlossenes Universum präsentiert, sondern in eine allgemeine (d.h. entgrenzte) Ökonomie differentieller Spuren und Marken entlässt – ohne die illusionäre Hoffnung auf eine endliche Wiederaneignung.

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I

3Das Schreiben über die Maschine – und damit auch das Reden über sie, denn »Schrift« beschreibt ja nach Jacques Derrida die Bewegung der Sprache in ihrem sich mit seiner eigenen Hervorbringung selbst hinwegraffenden und auslöschenden Ursprung, d.h. in ihrer originären Sekundarität und Nachträglichkeit (vgl. Derrida 1974, S. 17 ff. und passim) –, das Schreiben über die Maschine also trifft auf einen Gegenstand, für den seit je Attribute geltend gemacht wurden, die den auf die Schrift gemünzten erstaunlich nahe kommen. So begegnet man z.B. der Vorstellung, dass die Maschine (bzw. ihre modellhafte Übertragung) Lebendiges dem Toten assimiliere, da sie ja nur eine mechanische Repräsentation oder Reproduktion abgeben könne; zudem reduziere sie organische Lebensvollzüge aufs entäußerte Funktionieren eines bloßen Räderwerks. Gründet demnach eine Komponente der Maschinenkritik in einem je schon präsupponierten Entwurf von Leben, das nichts als reines Leben, säuberlich getrennt von seinem ins bedrohliche Außen gebannten Gegenüber, sein soll, so verweist eine andere Komponente auf die Verselbständigungstendenz des Maschinellen, das den Zugang zum »eigentlichen« Leben zunehmend behindere und verstelle. Mancher Beobachter scheint daher überdies in der realen oder metaphorischen Auslagerung menschlicher Lebensvollzugs- und Selbsterhaltungsmechanismen ins maschinale Zwischenreich eine immer mögliche Dimension des Trugs oder der Entstellung bzw. Verfälschung am Werk zu sehen, da durch solche Übertragungen und Vermittlungen jene vermeintlichen Intentionen und Interessen, denen durchs Medium Maschine einmal Geltung verschafft werden sollte, eher hintertrieben als gefördert würden. Im Übrigen hatte ja schon Pascal – beim Versuch nämlich, seine berühmte arithmetische Maschine als Ergänzung bzw. Hilfsmittel des Logos wenigstens theoretisch ins Laufen zu bringen – das generelle Problem registrieren müssen, dass die fürs Funktionieren in der Allgemeinheit notwendige Unabhängigkeit der Maschine von ihrem Hersteller oder Vater es als Konsequenz mit sich bringt, der nun prinzipiell durchs maschinale Konstrukt inaugurierten Enteignung des Subjekts nur durch (immer neue) supplementäre Mittel der Urheberschaftsbezeugung und Legitimationssicherung begegnen zu können,5 was indes signalisiert, dass die Ökonomie des Aufschubs und der Nachträglichkeit hier schon immer ihr Spiel entfaltet haben wird – auch dies eine, freilich zunächst ganz unerwartete, Form von Produktivität der Maschine. Wenigstens am Rande sei erwähnt, dass in der gegenläufigen vorbehaltlosen Anerkennung der Maschine und des maschinalen Paradigmas, sofern sie deren Konzeption auf ein Postulat reiner, kontrollierbarer Zweckmäßigkeit und Instrumentalität hin ausrichtet, lediglich die komplementäre Kehrseite der maschinenkritischen Tradition greifbar wird – sind doch beide Positionen Folgen einer beschränkten Ökonomie des Maschinalen, das hier je schon als – bedrohliches oder aber nützliches – Außen eines Lebens, dessen grundsätzliche Intaktheit vorausgesetzt wird, figuriert. Sind Deutungsmuster dieser Art damit aber als Symptome dessen, was als maschinal aus der Existenz des Menschen verdrängt oder ausgeschieden werden soll, lesbar, so ist auch in ihnen bereits jenes Spiel der Verschiebungen, Auslagerungen, Übertragungen und Supplementierungen im Gang, das die Geschichte der Repräsentation von Mensch und Welt im Medium der Maschine von Anfang an umgetrieben hat.

4Dass jedenfalls die Tradition der Verdächtigung der Maschine und der Verdächtigung des maschinalen Deutungsrasters mit der so wirkungsmächtigen Sekundarisierung der Schrift im Rahmen des abendländischen Logozentrismus einige wichtige Züge teilt, wird demjenigen, der von den Texten Jacques Derridas schon einmal Kenntnis genommen hat, wohl kaum entgangen sein können. Hier wie dort nämlich findet man dieselbe Logik am Werk, die die Exteriorisierung und Erniedrigung dessen betreibt, was als nur repräsentierend, abgeleitet und äußerlich gedacht wird; ja, mehr noch, diese Logik setzt zugleich den Argwohn in Gang, dass das zunächst lediglich als (derivatives) Hilfsmittel intendierte Supplement Schrift bzw. Maschine möglicher Weise eine bedrohliche Eigendynamik entwickelt, die seine instrumentelle Funktion beeinträchtigt, wenn nicht hintertreibt oder subvertiert, so dass am Ende sogar die dem Vermittlungsvorgang voran gestellte Integrität eines ursprünglichen präsenten Seins unvermutet gefährdet erscheint. Daher dürfen Schrift und Maschine auch nicht dauerhaft sich selbst überlassen werden, soll nicht das Risiko einer beständigen Mortifizierung des Lebendigen eingegangen werden. Freilich stellt sich spätestens hier mit Nachdruck die Frage, wie denn jenes Lebendige und damit auch das Psychische beschaffen sein muss, dass dort ein solcher Einfall aus einem präsupponierten Außen überhaupt Raum greifen kann, wenn nicht von vornherein schon die Ökonomie des Lebens und des Psychischen gleichermaßen eine Ökonomie des Todes-im-Leben und des Nicht-Psychischen-im-Psychischen gewesen sein wird. Darum konnte ja auch Derrida in seiner Analyse des freudschen Textes über den Wunderblock – jener berühmt gewordenen freudschen Darstellung der Struktur des psychischen Apparats durch eine spezielle Schriftmaschine – formulieren: »Die Maschine – und deshalb auch die Repräsentation – ist der Tod und die Endlichkeit im Psychischen.« (Derrida 1972a, S. 346) Folglich lässt sich aber die Frage nach der téchne – heiße sie Schrift oder Maschine – »nicht aus einer als selbstverständlich geltenden Opposition zwischen dem Psychischen und dem Nicht-Psychischen, dem Leben und dem Tod ableiten« (Derrida 1972a, S. 347), sondern es gilt zu bedenken, dass sich im Leben »selbst« eine »ursprüngliche« Möglichkeit für die Ökonomien des Todes, des Supplements, des Technischen, der Sekundarität auftut.

5Der Einsatz einer Metaphorik der Maschine, um die Funktions- bzw. Existenzweise eines bestimmten Phänomens darzustellen und damit den eigenen Erkenntnis- oder Wahrnehmungsmodus dieses Phänomens zum Ausdruck zu bringen, kann demnach wohl kaum mehr ohne Gewalttätigkeit in einen klar zu umreißenden Raum bloßer Metaphorizität zurück verwiesen werden, steht hier doch die Essenz der Kategorie Metapher selbst zur Debatte – und zwar weniger in der Hinsicht, was diese Essenz denn nun sei, als vielmehr, ob es so etwas wie diese Essenz denn tatsächlich geben könne.6 Fügt sich nämlich die Maschine – als feste Metapher – einer Organisationsform des Lebendigen, beispielsweise der Organisation des Psychischen, hinzu, um ihre Endlichkeit zu ergänzen, wird sie also zur nachtragenden/nachträglichen Maschine, so leitet sich nun die Idee der Endlichkeit selbst aus der Bewegung dieser Nachträglichkeit ab, eröffnet sich mithin der Metapher der Maschine die Möglichkeit, ihr einstiges Signifikat, dem sie doch nur dienen sollte, zu überleben (vgl. Derrida 1972a, S. 346). Der Boden metaphorischen Sprechens ist ins Rutschen gekommen: wieweit trägt hier noch die Unterscheidung zwischen buchstäblich und übertragen, zwischen eigentlich und uneigentlich, zwischen Bildempfänger und Bildspender, oder wie die geläufigen Stichworte sonst noch lauten mögen, wenn vom – selber schon »metaphorischen« – Transportmittel Metapher die Rede ist? Das Problem (der) Metapher also ist (die) Metapher; oder, wie Derrida schreibt:

Jede Aussage, gleichgültig über welches Thema – also auch jede Aussage über die Metapher selbst –, wird sich ohne Metapher nicht bilden lassen, wird nicht ohne Metapher auskommen. Keine Metaphorik, keine Lehre von der Metapher, keine Metametapher wird beständig genug gewesen sein, um diese Aussagen zu beherrschen. (Derrida 1987, S. 319)

II

6Wenn in Jean Pauls »Museum«-Schrift die Frage aufgeworfen wird: »Woher aber überhaupt der angeborne, kaum der Theoriensucht weichende Abscheu vor einem geistigen Entstehen aus Körper-Mächten, vor jedem Uhr- und Räderwerk, das den Uhrmacher macht?« (Jean Paul 1976, S. 949) – dann stehen wir mit einem – wenn auch schon retrospektiven – Schlag mitten in den Maschinen-Diskussionen des 18. Jahrhunderts, die am Ende dieses Jahrhunderts vorentschieden scheinen zugunsten einer tiefgreifenden Ablehnung der Maschinalisierung des Menschen, während freilich zur gleichen Zeit nicht nur die den freien Unternehmergeist proklamierende und auf die Prädominanz der Maschinerie zielende kapitalistische Industrialisierung zu ihrem Siegeszug ansetzt, sondern auch – ironischer Weise – gerade die neue, die Kritik des Maschinalismus doch voraussetzende, romantisch-idealistische Philosophie ihr Lieblingstheorem, den Geist, als Automaten – als Selbstbewegung bzw. zirkuläre Ökonomie – konstruiert. Galten die Ängste und Befürchtungen hinsichtlich der Definitionsmacht des Maschinalen im letzten Viertel des Aufklärungsjahrhunderts auch in zunehmendem Maße jenen gesellschaftlichen Megamaschinen – wie: Bürokratie, Militär, Staat –, die das Subjekt zum reinen Funktionselement zu konditionieren drohten, so war gleichwohl der Stein des Anstoßes, den die Versuche, die menschliche Seele zu materialisieren, abgegeben hatten, noch keineswegs vergessen. (Jean Pauls Frage mobilisiert ja genau dieses Moment.) Dass der häufige philosophische, anthropologische und literarische Rekurs auf Maschinenmodell und Maschinenmetaphorik der Gelehrtenrepublik, deren raison d’être wie contrat social bekanntlich die Räson des Kriegsrechts7 ist, nie einen gangbaren Weg eröffnete, im Vertrauen auf die suggestive Transparenz und Prägnanz des maschinalen Paradigmas zu einer verbindlichen und verbindenden (Neu–)Begründung aufklärerischer Vernunft im Diskursraum der Maschine zu gelangen, ist indes wohl kaum einfach einer erst relativ spät sich verstärkenden Kritik des Maschinenmodells aus dem Geist des Organizismus und Vitalismus zuzuschreiben; vielmehr hatte der Diskurs des Aufklärens, der übrigens die Funktionen des Lichts und des Blicks selbst bereits in der Struktur von Projektions- bzw. Wurfmaschinen präsentierte (vgl. Bahr 1983, S. 52), immer schon den Verdacht bekämpfen müssen, dass die Maschine sich nicht eindeutig und endgültig darauf verpflichten lasse, die Arbeit der Aufklärung zu verrichten, wenn man ihr nur ein vergewisserungsfähiges Strukturmodell für die rationale Repräsentation von Mensch und Welt entlocke – daher denn auch die beständigen Versuche, einem unkontrollierbaren Selbstlauf des Modells durch weitere Sicherungsinstanzen – Gott, Seele, Vernunft, Natur, Moral – entgegen zu steuern, so dass sich hier nebenbei bemerkt eine veritable Versicherungsgesellschaft gegen Maschinenschäden auftut. Wie die zeitgenössische teils hysterische Reaktion auf La Mettrie, jenen apokryphen materialistischen Schüler Boerhaaves, zeigt, hatte man sehr wohl registriert, dass die prätendierte instrumentelle Zweckhaftigkeit der Maschine – gerade auch in ihrer modellhaften Übertragung auf Mensch und Gesellschaft – eine seltsame Abstinenz von moralischen Optionen, die doch von der praktischen Vernunft menschlicher Subjekte im Sinne christlich-abendländischer Wertaxiomatik diktiert werden sollten, einschloss (vgl. Bahr 1983, S. 13). In ihren Konstruktionen und Bewegungen nämlich zeigen die Maschinen »den neutralen, indifferenten Blick alles Natürlichen; aber soweit sie eine durch menschliche Absichten hindurchgegangene und ihnen gemäße Natur darstellen, gerät die ›Moral‹ der Maschinen in eine unauflösbare Schwebe.« (Bahr 1983, S. 13) Nicht also »am Widerstand, sondern an der prostitutiven Nachgiebigkeit der Maschinen« (Bahr 1983, S. 13) findet die aufklärerische Suche nach einem verbindlichen ethischen Universalismus ihre Grenzen.

7Der metaphorische Anschluss an die Maschine war aber auch insofern einer intellektuellen Beruhigung des aufklärerischen Subjekts über die Probleme seiner Selbstbegründung nach dem schleichenden Verfall der alten Autoritäten wenig zuträglich, als die Maschine zwar ein Gerüst für die Ordnung der Dinge und den Bau des Menschen zu liefern versprach, gleichzeitig aber die Frage nach der fundierenden Bewegung einer solchen Übertragung offen ließ. So blieb im Ungewissen, ob die Maschine nun deswegen als Modell sich angeboten hatte, weil Leben und Welt selbst zumindest teilweise maschinenförmig organisiert waren, wobei die Maschine lediglich die dingliche Realisierung dieser allgemeinen Organisationsform vorstellte, oder ob erst das historische Auftauchen der Maschine, das dann freilich eine eigene Erklärung verlangt hätte, die Repräsentationsbeziehung ermöglichte – ganz zu schweigen von dem Problem, die Maschine ineins als Supplement und als Fundament konzipieren zu müssen, um die Differenz von Mensch und Maschine, von Leben und Maschinalem weder zu kaschieren noch zu zementieren, was aber darauf verweist, dass die Maschine bzw. das Maschinale selbst schon jene Differenz ins Werk gesetzt haben wird, an der sie doch nur teilhaben sollte. Im Lichte dieser Bemerkungen kann es nicht mehr allzu sehr verwundern, dass der im 18. Jahrhundert als Phänomen Epoche machende Rekurs auf maschinale Deutungsmuster keine Epoche machte im Sinne eines homogenisierenden Bezugsrahmens oder einer vergemeinschaftenden Diskussionsvorgabe, war doch der Riss schon in der Konstitution des Maschinalen »selbst«, in seiner un–heimlichen Verweigerung eines Selbst und in seiner festen Grund dementierenden Fundierung in einer Bewegung originärer Nachträglichkeit und Supplementarität, vorgezeichnet bzw., wenn man so will, vor–geschrieben. Nicht von außen erst mussten demnach ideologische und politisch-soziale Differenzen gewaltsam an einen selbstgenügsamen, alle gleich bedienenden metaphorischen Speicher heran getragen werden, dessen Elemente dann nur noch in positiver oder negativer Wertung eingesetzt zu werden brauchten; vielmehr hatte bereits die differentielle Strukturalität des Maschinalen selbst dafür gesorgt, dass das, was als »Maschine« im Diskurs zirkulieren sollte, keine verpflichtend-einheitliche Gestalt annehmen konnte, die als gemeinsamer Referenzpunkt die Bestimmung von Aussagen und Übertragungen sichergestellt bzw. kontrollierbar gemacht hätte. So aber lauerte in der Maschine, die nur »als eine diskursive Formation […], nicht als Begriff eines Gegenstands ›Maschine‹« (Bahr 1983, S. 277) zu beschreiben ist, schon jene Differenz, der die unterschiedlichen intellektuellen Strömungen oder Fraktionen zu dissoziiertem Ausdruck verhalfen – nicht, indem sie die Differenzmöglichkeit im Maschinalen selbst ansiedelten, sondern indem sie an ihrer Maschinenimago jeweils den Zügen zu betonter Konsistenz verhalfen, die die originäre Gespaltenheit des Maschinalen am effektivsten unterdrücken oder verdrängen konnten. Dies hat übrigens für die Kritik am maschinalen Paradigma im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts gleichermaßen Geltung. Hatte z.B. Descartes, als er den Außenaspekt der Lebewesen im Bild des Automaten objektivierte, den Automaten »zum theoretischen Repräsentanten eines Lebens, das keines mehr sein« sollte, zum »Platzhalter des verschwundenen Lebens« (beide Zitate Sutter 1988, S. 52), gemacht und damit auf ein Prinzip schieren Funktionierens verpflichtet, während sich das Andere dieses Diskurses mühsam darin artikulierte, dass die Automatenthese im seltsam konditionalen Zwielicht einer methodischen Fiktion eingeführt wurde,8 so versuchte die spätere Maschinenkritik mit der Ablehnung maschinaler Deutungsmuster – sei’s wegen der vorgeblichen Assimilierung des Lebendigen ans Tote, Mechanische, sei’s wegen einer inkriminierten Desublimierung des Geistigen bzw. Psychischen aufs Körperliche, mithin aufs »Theatrum anatomicum« hin9 – so versuchte also die Maschinenkritik das, was am Menschen nicht akzeptiert werden konnte oder nicht zugelassen werden sollte, ins Reich der Maschine zu verbannen, dem auf diese Weise freilich eine Dimension der Bedrohlichkeit zuwuchs, die den Ausschluss des Maschinalen aus dem Lebendigen als zutiefst vorläufig markierte.

8In methodischen Fiktionen wie in Ausschlussverfahren, in breiter wie in punktueller Bezugnahme, als argumentatives Beweisstück und als fiktionaler Baustein hinterlässt die Maschine Spuren, die sich kreuzen und die auseinander laufen, die sich verstärken und die sich auslöschen, deren Graphie aber nur jene Dezentrierung umschreibt, der das Schema vergewissernden Denkens im Bezirk des Maschinalen ausgesetzt ist, mag dies auch dem schreibenden Subjekt unbewusst bleiben bzw. geblieben sein; ohnehin ja indiziert die Maschine einen ähnlichen Prozess des Abwesend- und Unbewusstwerdens des Subjekts wie die Schrift10, muss sie sich doch wie diese von Beginn an strukturell von der vermeintlichen Präsenz eines singulären Produzenten gelöst und abgespalten haben, um auch weiterhin und damit überhaupt funktionieren zu können. Nach alledem wird nun also die Maschine jenen Transparenz und Gewissheit verletzenden Riss der Zeichen im Diskurs vom Menschen, dessen Beseitigung ihre modellhaft-metaphorische Übertragbarkeit einst zu versprechen schien, erst recht vertieft haben – und zwar gerade auf Grund ihrer eigenen abgründigen Konstitution. Zudem ist die Maschine, wiewohl Funktionalität heischend, doch auch etwas, das immer schon unterm Gesetz von Selbstzerstörung und Selbstaufreibung steht – ein Umstand, dem die Maschinendiskurse im beinahe obligaten Verweis auf die höhere Perfektion und Komplexität von »natürlichen« gegenüber artifiziellen Maschinen uneingestanden Tribut zollten; eine bedrohliche Einschränkung der Verfügungsgewalt selbstherrlicher Subjekte zeigt sich hier allemal. So aber entwindet sich die Falle Maschine11 der ihr gestellten Falle durch ihren eigenen Zerfall und ihren Abfall vom Subjektreferenten (vgl. Bahr 1983, S. 446) – und schlägt damit einen nicht nur etymologischen Bogen zum Reich der Machinationen, dem sie weniger entwachsen scheint, als gemeinhin angenommen oder erhofft; war nicht auch im Artikel »Maschine oder Rüst-Zeug« des zedlerschen Universal-Lexikons etwas zu beziehungslos und wie nebenbei angemerkt worden: »Übrigens heißet Maschine unterweilen auch eine List oder Betrug, wenn man seinen Gegenpart durch allerhand Erfindungen aus dem Vortheil setzet.« (Zedler 1739, S. 1907)

9Nicht als nachzeichnendes Verfolgen eines Motivs wäre die Geschichte des maschinalen Komplexes im Diskurs-Labyrinth des 18. Jahrhunderts zu schreiben, sondern als Artikulation einer Ökonomie, in der die Untrennbarkeit von Deklaration und Deskription, von programmatisch-intentionaler Vorgabe und Ablösungsarbeit des Textes in Rechnung gestellt würde, um in die so erst produzierte signifikante Struktur des Maschinalen zugleich von einer Position, die kein einfaches Außen mehr wäre, intervenieren zu können.12 Mag ein solches Projekt im Moment noch als ungedeckter Scheck auf eine ungewisse Zukunft sich darstellen, so scheint doch seine Notwendigkeit unabdingbar, will man nicht von vornherein die Resistenzkraft des Maschinalen tilgen oder aber seiner Teilhabe an der Geschichte des Logozentrismus aufsitzen. Immerhin wird die Maschine auch in dieser ökonomischen Lektüre als Schibboleth fungieren: als Erkennungszeichen, an dessen wechselnder Aussprache (d.h.: Markierung und Bewertung) jeweils hervor träte, wie Projektions- und Blockierungsmechanismen so etwas wie eine »Politik« der Maschinenimago betreiben, an deren Bruchlinien allein schon die Reduktion der Maschine aufs nur Objektive (vgl. Bahr 1983, S. 271–272) als anthropozentrische Illusion kenntlich würde. Ob man nun den initialen Schub, den zu Beginn des 18. Jahrhunderts die klandestine Literatur13 den Anläufen zu einer maschinal begründeten Materialisierung der menschlichen Seele versetzt hatte, zum Ausgangspunkt nimmt, um das Feld der maschinalen Verschiebungen abzustecken, oder ob man die spätere Rede z.B. Herders vom Lebewesen als leidender bzw. empfindsamer Maschine (vgl. Schmidt-Biggemann 1975, S. 97–98) zum Indikator nicht nur für eine historische Umbruchssituation, sondern mehr noch für die untergründige Wirksamkeit einer Problematik des Maschinalen-im-Lebendigen macht, – wird man sich beim Schreiben über die Effekte und die Ökonomie maschinaler Diskurse doch immer in eine Szene versetzt sehen, für deren Beherrschbarkeit es gerade wegen der Unzurechenbarkeitsstruktur der Maschine (vgl. Bahr 1983, S. 304–305), wegen ihres Entzugs von Bestimmung, keine festen Garantien mehr wird geben können. Als eine Art »Teilchenbeschleuniger« könnten dabei fürs Aufklärungszeitalter vielleicht die Schriften La Mettries genutzt werden, die eben nicht einfach den Menschen »mechanisieren«, wie ein gängiges Vorurteil lautet, sondern mit dem Rekurs auf die Maschine den Diskurs vom Menschen in ein Spiel ziehen, in dem die alten Wertsetzungen ironisch-polemisch-satirisch (je nachdem) in Frage gestellt werden.14

III

10Ich schließe ein längeres Zitat an:

Wir wollen uns also ganz in unsere Vorstellung zurückziehn, selbst den Körper als eine Sache außer uns betrachten, alle mechanische und thierische Veränderungen in ihm, alle Gedanken, Empfindungen, Entschlüsse, Handlungen als vorübergehende Wirkungen ansehn, ungefähr wie Blitze, die Bewegungen einer Flamme oder das Tönen einer Saite, und uns nichts in uns als Dinge neben, über, unter, bey einander vorstellen: von der äußersten Zehe bis zu dem Punkt im Gehirne, wo die Nerven dem Auge unsichtbar werden, von dem Magen, der unsre Nahrungstheile zubereitet, bis zu dem Punkte, wo Gedanken und Empfindungen zu Entschlüssen und Handlungen werden, wollen wir eine Maschine seyn, worin wir Wirkungen wahrnehmen, die wechselsweise einander veranlassen.

11Der diese bemerkenswerten Worte niedergeschrieben hat, ist nicht etwa La Mettrie gewesen, sondern Johann Karl Wezel (und zwar in Wezel 1784, S. 67–68), jener skeptische deutsche Spätaufklärer, den Arno Schmidt bekanntlich zu einem der »Schreckensmänner« der deutschen Literatur stilisiert hat; der Literaturwissenschaft freilich ist er immer noch – wenn sie seinen Namen überhaupt ausspricht – meist nur als Dissertationsthema recht – Spätfolge einer wirkungsmächtigen Politik des Ausschließens und aktiven Vergessens, in der schon früh die ersten Schritte zum Verschwinden des Autors Wezel im Fall Wezel eingeleitet wurden. Scheint Wezel in der angeführten Passage aus seiner anthropologischen Schrift »Versuch über die Kenntniß des Menschen« auf den ersten Blick einer vorbehaltlosen Mechanisierung/Materialisierung des menschlichen Körpers zu huldigen, so zeigt bereits der Nachdruck, der auf den Willensakt des sich Erforschenden gelegt wird, zur Genüge an, dass die avisierte Maschine nicht von selbst laufen wird, zumal sie sich als Produkt einer Imaginationsleistung vorgestellt sieht, deren Ermöglichungsbedingung: das Wollen, gleichzeitig selbst schon Beobachtungsobjekt geworden ist; sehr wichtig nämlich ist es Wezel, dass der potentielle Anthropologe »sich einbilden kann, als wenn er bey Sehen, Hören, Fühlen, Denken, Empfinden und selbst bey Wollen und Thun nichts thäte, sondern von allen diesen blos die Vorstellung empfinge, indem sie geschehn« (Wezel 1784, S. 68). Jedoch soll derjenige, der bereits seinen Willen eingesetzt hatte, um ihn temporär wieder los zu werden, »darum nicht willenlose Maschine bleiben, sondern zu seiner Zeit wieder ein thätiges Wesen werden, so sehr er es nach der Erfahrung ist.« (Wezel 1784, S. 68) Der Anthropologe Wezel begibt sich also auf einen eigenartigen Weg, wenn er sich und seine Handlungen analysiert: er schaltet willentlich seine Tätigkeitsformen, darunter auch das Wollen selbst, aus, um zu Wahrnehmungen zu gelangen, die er nur als gewollte willenlose Maschine machen kann, die am Ende freilich ihren Dienst wieder quittieren muss (wenn nicht als Maschine, so doch als willenlose Maschine). Dass man diese komplizierte Bewegung einer willentlichen Willenlosigkeit als grundlegend für Wezels Vorgehen im »Versuch« ansetzen kann, zeigt auch folgende Stelle:

Um uns bey den folgenden Spekulationen in den rechten Gesichtspunkt zu stellen, wollen wir uns von allen Begriffen losmachen, die wir von der Seele und ihrer Verbindung mit dem Körper lasen, hörten oder selbst träumten: wir wollen uns den Menschen als ein Ganzes, als eine Maschine denken, die aus einer bestimmten Summe von Kräften und Organen besteht, und worin eine Reihe von Wirkungen vorgeht, die alle in Einem gemeinschaftlichen Mittelpunkte, den wir Seele nennen, sich endigen oder anfangen. (Wezel 1784, S. 84–85)

Das Maschine-Werden setzt somit gewisse Operationen ins Werk, die nicht ohne weiteres mehr als lediglich methodische Fiktionen beschrieben werden können; vielmehr betreffen sie generell die Möglichkeit, zu Aussagen über die psychophysische Konstitution des Menschen zu kommen: wer nicht temporär Maschine geworden ist – einerseits, indem er sich willentlich vom Willen frei macht, um sich in seine Vorstellung zurück ziehen zu können, und andererseits, indem er nun zur selben Zeit eine dissoziierte Außen- und eine grenzenlose Innenperspektive einnimmt, nämlich sowohl den Körper als eine Sache außer sich betrachtet, als auch nurmehr ihn durchstreift –, wer also nicht auf diese Weise Maschine geworden ist, der wird nur schlecht in der Lage sein, der von Wezel projektierten Form anthropologischer Erkenntnis zu folgen. Damit aber hat die Maschine den Diskurs vom Menschen weder einfach objektiviert noch gar mit größerer Gewissheit gepolstert; durch den Rückgriff aufs maschinale Konstrukt ist stattdessen eine Bewegung ins Spiel gekommen, die die vertrauten Formen der Wahrnehmung und Erkenntnis an einen Punkt führt, wo eine Scheidung von Präsenz und Absenz, von Innen und Außen, von Autonomie und Heteronomie keine Geltung mehr beanspruchen kann.

12Wezel hat indes nicht nur für seinen mit zwei erschienenen Bänden erheblich unvollendet gebliebenen anthropologischen Entwurf die Maschinenvorstellung genutzt; maschinale Bezüglichkeiten durchziehen auch seine erzählerischen Texte auf signifikante Weise. In einem kürzeren Text mit dem barock anmutenden Titel »Einige Gedanken und Grundsätze meines Lehrers, des großen Euphrosinopatorius« (in Wezel 1983, S. 167–192), der in Form eines asymmetrischen Dialogs zwischen dem Erzähler und seinem verstorbenen Lehrer abläuft, wird man schon nach wenigen Seiten mit einer Simulation der Welt als komplexer Maschine aus bewegten, undurchsichtig gestaffelten Rädern verschiedener Konsistenz konfrontiert, einer Weltmaschine mithin, deren wasserbetriebener Lauf als auf unterschiedliche Weise realisierbar präsentiert wird, so dass die Maschine konkurrierenden Weltmodellen Ausdruck verschaffen kann. Reibungsloses Funktionieren und (selbst)zerstörerischer Umtrieb sind hier gleichermaßen durchs Maschinenbild abgedeckt, wobei für die differierenden Formen des Ablaufs ein psychologischer Effekt zum Vergleichsmaßstab wird: der jeweils generierte Grad an Langeweile, der allerdings mit abweichenden Sicherheitsreserven verkoppelt ist (vgl. Wezel 1983, S. 173 ff.). Da ein Verschleiß der Maschine immer unvermeidlich ist (vgl. ebd., S. 174), empfiehlt der große Lehrmeister nicht ökonomisches Ausflicken, sondern als wahren »coup de maître« eine Überschwemmung, einen Zerstörungsakt, der die Grenzen einer beschränkten Ökonomie im unendlichen Überfluß, im Kreislauf einer beständigen Verwandlung (vgl. ebd., S. 174) hinweg reißt. Indem so (Selbst–)Zerstörung und Selbsterhaltung miteinander verschaltet werden, Selbsterhaltung der (Selbst–)Zerstörung im systemischen Rahmen sogar bedarf, zumal metamorphotische Zirkulationsprozesse die entgrenzte Ökonomie des Maschinenwerks der Welt fundieren, stellen sich zum einen die Probleme von Willensfreiheit und Moral auf eine neue, inkalkulabel verschobene Weise; zum anderen aber wird auch die Vorstellung von der Präsenz und Verfügbarkeit der Maschine in Mitleidenschaft gezogen – jene Vorstellung, die Verschleiß und Zerfall der Maschine von dieser abtrennt und in ein Jenseits rückt, das nicht die Maschine gewesen sein wird, sondern ihre Depräsentation, ihr Nicht (vgl. Bahr 1983, S. 347). Ist die Weltmaschine des Euphrosinopatorius zwar keineswegs von der Idee der Wiederherstellung eines Funktionsmechanismus, mithin von einer Scheidung in ein maschinales Diesseits und Jenseits, frei, so ist doch ihrem Funktionieren und ihrer Selbsterhaltung ein zerstörendes Prinzip so sehr eingeschrieben, dass Diesseits und Jenseits der Maschine als temporäre Zustände der Maschine selbst aufleuchten.

13Dass Maschinen einem Gesetz der Selbstdestruktion unterliegend gedacht werden können, ist Wezel also nicht entgangen. Auch im Roman »Wilhelmine Arend oder die Gefahren der Empfindsamkeit« wird dieses jenseitige Diesseits der Maschine gesteigert evoziert; im Zustand psychischer Dissoziation nämlich artikuliert die traumatisierte und hysterisierte Wilhelmine in einer ihrer letzten brieflichen Aufzeichnungen ihren sehnlichsten Wunsch:

Zerreißt, Banden, die ihr mein Wesen zusammenhaltet! Zerreißt, Gebeine, modert und zermalmt euch zu Staub! Vernichtung, zerstöre die Maschine, in welcher alle Räder stocken, die sich selbst langsam aufreiben soll! (Wezel 1782, Bd. 2, S. 374)

Soll in diesem Akt von Selbstaufzehrung, von Autophagie15, die Seele aus dem Gefängnis jener widerständigen Körper-Maschine befreit werden, die von Wilhelmine nie unter Kontrolle gebracht werden konnte und die daher verschwinden muss, so wird von Wilhelmines zweitem Ehemann Webson, der an ihrem Tod beinahe verzweifelt, die körperliche Maschine gerade als Zufluchtsort imaginiert, der ein Existieren ohne das peinigende Bewusstsein des eigenen Zustands ermöglicht:

[…] eine Pflanze war ich, an den Ort gefesselt, wo ich mich nährte, eine Maschine ohne Bewegung, Gedanken und Empfindung. Wär’ ich doch nie wieder zum Menschen geworden! Seitdem ich wieder denken kan, bin ich erst unglücklich […]. Wezel 1782, Bd. 2, S. 450)

Des bewussten Lebens enthoben, wäre für Webson die Reduktion auf die Maschine der Tod im Leben, der erst ein Leben ohne Furcht vor der Zukunft und vor neuem Schmerz und ohne quälende Erinnerung garantierte; damit aber versucht Webson eine gängige Abwertung der Maschine in einen individuellen Gewinn, der in der Entäußerung von Subjekthaftigkeit als Mimikry an die Natur läge, umzubuchen.

14Greift Wezel also die maschinalen Diskurse des 18. Jahrhunderts bereitwillig auf, um einige ihrer Elemente in seine vielgestaltige Textarbeit hinein zu ziehen, so lauert vielleicht in der Handlung mancher seiner Texte, insbesondere des »Belphegor«, eine gleichsam maschinelle Wiederholungsstruktur, die nunmehr lesbar würde wie jene der Maschinen: »als ein unbeendeter Anlauf, das Endliche als seiend ankommen zu lassen, – anstatt dem Endlichen ewig zu überspringende Hürden zu bauen, damit es in die Unendlichkeit springe.« (Bahr 1983, S. 149)

1 Vgl. allgemein zu dieser Problematik Derrida 1972c und Derrida 1977 ^

2 Vgl. zu dieser – strukturellen – Affinität Derrida 1980, S. 18–19, sowie Forget 1988, S. 318 ^

3 Zu der von Derrida prononcierten Generalisierung des Textkonzepts, in der weder einem selbstgenügsamen Bei-Sich-Sein noch einer infiniten Selbstreflexivität des Textes das Wort geredet wird, in der vielmehr die gebräuchlichen Bestimmungen von Textualität durch die Dekonstruktion ihrer internen und externen Erfüllbarkeit konterkariert werden, findet sich eine vorzügliche Hinführung in Gasché 1986, S. 278–293 ^

4 Weit mehr als nur katalysatorische Bedeutung hat hier Bahr 1983 ^

5 Vgl. zu diesen Konsequenzen Pascals Bennington 1989, S. 209–213 ^

6 Vgl. allgemein zum Problem des Metaphorischen: Derrida 1972b und Derrida 1987 ^

7 Darauf verweist mit Bezug auf La Mettrie Assoun 1981, S. 6 ^

8 Vgl. zur Rolle dieser methodischen Fiktion bei Descartes Sutter 1988, S. 54 ff. ^

9 Hamann schreibt an Herder: »Vom Himmel muß unsere Philosophie anfangen – und nicht vom Theatro Anatomico und den Sectionen eines Cadavers.« (Hamann 1965, S. 175) ^

10 Vgl. hinsichtlich der eigentümlichen Abwesenheit des Subjekts der Schrift Derrida 1974, S. 120 ff. ^

11 Zur Maschine als Falle, die etwas anderem gestellt wird, um es einzufangen, während sie auf diese Weise zugleich ihre eigene Falle sein soll, die sich aber – weil sie gültige Gewissheit verweigert – bereits ihrer Bestimmung entzogen haben kann, vgl. Bahr 1983, S. 203–211 ^

12 Vgl. in diesem Zusammenhang die Ausführungen zur Methodenfrage unter der Überschrift »Das Exorbitante« in Derrida 1974, S. 272–282 ^

13 Jene verfemte Literatur, die unter anderem materialistischen und libertinen Interessen zur Artikulation verhalf und die daher ein verstecktes Dasein als zirkulierendes Manuskript oder apokrypher Druck führen musste. Vgl. dazu Bloch 1982 ^

14 Vgl. hierzu einführend Sutter 1988, S. 113–144 und Assoun 1981, S. 47–72 ^

15 Vgl. im Übrigen zur Maschine als Autophagen Bahr 1979, S. 67 ^

Literatur

  • Assoun 1981 Assoun, Paul-Laurent: Présentation. In: La Mettrie: L’homme-machine / Assoun, Paul-Laurent (Hrsg.). Paris : Denoël/Gonthier, 1981, S. 7–80
  • Bahr 1979 Bahr, Hans-Dieter: Der Spiegel, das winzige Wasser und die Maschine. In: Konkursbuch 3 (1979), S. 39–72
  • Bahr 1983 Bahr, Hans-Dieter: Über den Umgang mit Maschinen. Tübingen : Konkursbuchverlag, 1983
  • Bennington 1989 Bennington, Geoffrey: Aberrations: de Man (and) the machine. In: Waters, Lindsay (Hrsg.) ; Godzich, Wlad (Hrsg.): Reading de Man reading. Minneapolis : University of Minnesota Press, 1989, S. 209–222
  • Bloch 1982 Bloch, Olivier (Hrsg.): Le matérialisme du XVIIIe siècle et la littérature clandestine. Paris : Vrin, 1982
  • Derrida 1972a Derrida, Jacques: Freud und der Schauplatz der Schrift. In: Derrida, Jacques: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt/Main : Suhrkamp, 1972, S. 302–350
  • Derrida 1972b Derrida, Jacques: La mythologie blanche : La métaphore dans le texte philosophique. In: Derrida, Jacques: Marges de la philosophie. Paris : Minuit, 1972, S. 247–324
  • Derrida 1972c Derrida, Jacques: Signature événement contexte. In: Derrida, Jacques: Marges de la philosophie. Paris : Minuit, 1972, S. 365–393
  • Derrida 1974 Derrida, Jacques: Grammatologie. Frankfurt/Main : Suhrkamp, 1974
  • Derrida 1977 Derrida, Jacques: Limited Inc a b c … . Baltimore : The Johns Hopkins University Press, 1977
  • Derrida 1980 Derrida, Jacques: Titel (noch zu bestimmen). Titre (à préciser). In: Kittler, Friedrich A. (Hrsg.): Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften : Programme des Poststrukturalismus. Paderborn : Schöningh, 1980, S. 317–355
  • Derrida 1987 Derrida, Jacques: Der Entzug der Metapher. In: Bohn, Volker (Hrsg.): Romantik : Literatur und Philosophie. Frankfurt/Main : Suhrkamp, 1987, S. 317–355
  • Forget 1988 Forget, Philippe: Diskursanalyse versus Literaturwissenschaft? In: Fohrmann, Jürgen (Hrsg.) ; Müller, Harro (Hrsg.): Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Frankfurt/Main : Suhrkamp, S. 311–329
  • Gasché 1986 Gasché, Rodolphe: The tain of the mirror : Derrida and the philosophy of reflection. Cambridge, MA : Harvard University Press, 1986
  • Hamann 1965 Hamann, Johann Georg: Briefwechsel / Henkel, Arthur (Hrsg.). Bd. 5: 1783–1785. Frankfurt/Main : Insel, 1965
  • Jean Paul 1976 Jean Paul: Sämtliche Werke / Miller, Norbert (Hrsg.). Abt. 2, Bd.  2: Jugendwerke und Vermischte Schriften / Miller, Norbert (Hrsg.) ; Biggemann, Walter (Hrsg.). München : Hanser, 1976
  • Schmidt-Biggemann 1975 Schmidt-Biggemann, Wilhelm: Maschine und Teufel : Jean Pauls Jugendsatiren nach ihrer Modellgeschichte. Freiburg : Alber, 1975
  • Sutter 1988 Sutter, Alex: Göttliche Maschinen : Die Automaten für Lebendiges bei Descartes, Leibniz, La Mettrie und Kant. Frankfurt/Main : Athenäum, 1988
  • Wezel 1782 Wezel, Johann Karl: Wilhelmine Arend oder die Gefahren der Empfindsamkeit. 2 Bde. Dessau : Buchhandlung der Gelehrten ; Leipzig : Schwickert, 1782
  • Wezel 1784 Wezel, Johann Karl: Versuch über die Kenntniß des Menschen. Erster Theil. Leipzig : Verlag der Dykischen Buchhandlung, 1784
  • Wezel 1983 Wezel, Johann Karl: Satirische Erzählungen / Klingenberg, Anneliese (Hrsg.). Berlin : Rütten & Loening, 1983
  • Zedler 1739 Zedler, Johann Heinrich: Großes vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste. Bd. 19. Halle und Leipzig : Zedler, 1739

Vortrag auf dem 6. Internationalen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Semiotik »Zeichen(theorie) in der Praxis«, Universität Passau, 8.10.–11.10.1990

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